Zwei Frauen unterhalten sich.
Sozialpädagogin Anna Mühle unterhält sich mit Ina Vogel über den Tagesablauf. Gerade in schweren Momenten hört das Team des Tageshospizes der Villa Auguste seinen Gästen zu. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Hospizarbeit Botschaft aus Leipziger Tageshospiz: "Genieße das Leben und jeden Tag!"

04. Mai 2024, 09:09 Uhr

Das Thema Tod und Sterben kann für Schwerkranke und Angehörige zur Belastung werden. Im Alltag fehlt oft die Zeit, gemeinsam den letzten Weg zu gehen. Das erste Tageshospiz Sachsens will einen Raum für Ängste und Trauer, aber auch für Gemeinsamkeit und Lachen schaffen.

Frauen und Männer stehen im Kreis in einem hellen Raum. Sie haben die Augen geschlossen. Es ist ganz ruhig. Sie strecken die Arme nach oben, atmen tief ein und wieder aus, stehen fest auf dem Boden. "So tief verwurzelt wie ein Baum können wir nach oben wachsen", leitet Musikpädagogin Jana Stefanek die Gruppe an.

Männer und Frauen in einem Tageshospiz bei der Musiktherapie.
Neben der Musiktherapie bietet das Tageshospiz Angebote wie Physio- und Ergotherapie an. Regelmäßig gibt es zudem Rikschafahrten für die Gäste. Bildrechte: MDR/Phillip Brendel

Die Bäume in diesem Kreis sind groß oder klein, dünner oder breiter - und sie werden unterschiedlich alt werden. Die schwer Kranken verbringen ihre letzte Zeit im ersten Tageshospiz Sachsens in der Villa Auguste in Leipzig-Probstheida. Die meisten von ihnen sind an Krebs erkrankt oder müssen mit anderen unheilbaren Diagnosen leben.

Musik weckt Erinnerungen

Jana Stefanek stimmt die Gitarre an: "Ina hat sich letztes Mal ein Lied gewünscht - 'Alt wie ein Baum' von den Puhdys." Was verbindet Ina mit dem Song? "Wir hatten früher Ostrock-CDs. Die alten Lieder finde ich schön. Wir waren auch auf Konzerten mit Ostbands", sagt Ina Vogel. Auch für Mario Maqué seien es Jugenderinnerungen. "Das Lied wurde auf jeder Jugendfeier abgespielt, wenn die Stimmung so richtig los ging", sagt er und blickt mit wachen Augen auf.

Was ist das Konzept des Tageshospizes in der Villa Auguste? (zum Ausklappen)

Das Tageshospiz in Leipzig-Probstheida ist das erste in Sachsen, das eine teilstationäre Betreuung an fünf Tagen in der Woche anbietet. Es gehört zu zehn ähnlichen Pilotprojekten in Deutschland. Das teilstationäre Angebot ist für Palliativpatienten gedacht, die noch keine stationäre Pflege benötigen, die aber schon eine Unterstützung im Alltag brauchen. Die Gäste wohnen bei ihren Angehörigen und werden tagsüber im Tageshospiz versorgt und betreut. Neben diesem Angebot gibt es auch ein stationäres Hospiz in der Villa Auguste.

Ungesagtes wird bewusst

Dann zupft Jana Stefanek die Gitarrensaiten. Alle singen den Ost-Klassiker - manche lauter mit einem Lächeln, andere leiser und in sich gekehrt. Als das Singen verstummt, sagt Mario Maqué: "Jetzt am Schluss hat das Lied eine andere Bedeutung für mich als am Anfang." Er habe den Text nun richtig verstanden, sagt der 52-Jährige, der einen Sohn hat: "Aber ich will da gar nicht in die Tiefe gehen, weil mich das eher traurig stimmt." Seine Stimme stockt, sein Blick wird ernst.

Eingang zum Tageshospiz Leipzig.
Das Tageshospiz in Leipzig-Probstheida hat derzeit sechs Gäste. Neben der teilstationären Pflege gibt es auch ein stationäres Hospiz. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Stefanek nickt: "Es ist schön, wenn ein Text berührt. Von etwas berührt zu sein, ist immer ein Kontakt mit sich selbst." Dann holt die Musikpädagogin kleine Instrumente heraus, die wie Spielzeug aussehen. Die Kalimbas schicken verträumt klingende Töne durch den Raum. Mario Maqué und Ina Vogel schließen die Augen und hören zu.

Die Diagnose ist nicht wichtig

Lutz Beyer hat hingegen Freude daran, kräftig in die Tasten zu drücken. "Die Musik tut mir gut", sagt der 80-Jährige. Es gehe hier darum, eine schöne, gemeinsame letzte Zeit zu verbringen, betont er. "Was jeder von uns hat, wissen wir. Warum soll man da noch in die Tiefe gehen. Es reicht, dass wir es wissen und unsere Angehörigen. Denen geht es sicher noch schlechter als uns", sagt Beyer.

Eine Pflegefachkraft zeigt einem alten Mann ein Musikinstrument.
Gemeinsam mit einer Pflegerin entdeckt Lutz Beyer die Klänge einer Kalimba. Jeden Tag zu genießen, fülle derzeit seinen Lebensinhalt aus, sagt der 80-Jährige. Bildrechte: MDR/Phillip Brendel

Über Tod und Sterben miteinander reden

Doch es gehe nicht darum, die Menschen vom Bevorstehenden abzulenken, sagt Pflegerin Julia Leers. Den meisten Gästen im Tageshospiz sei bewusst, was auf sie warte. "Sie machen sich jedoch Sorgen um ihre Angehörigen. Wir sprechen dann viel darüber", sagt Leers, die schon vor ihrer Arbeit im Tageshospiz mit Krebspatienten arbeitete. Jeder Arztbesuch oder jedes Gespräch mit Angehörigen mache das Thema Tod und Sterben den Erkrankten wieder bewusst. "Solche Situationen kommen auch, wenn man es gar nicht erwartet", sagt die 32-Jährige.

Eine Frau lächelt in die Kamera.
Julia Leers hat schon zuvor mit Krebspatienten gearbeitet. Sie schätzt die gute Zusammenarbeit in ihrem Team im Tageshospiz. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Man geht mit einem anderen Gefühl nach Hause. Das schätzt man mehr als in anderen Berufen.

Julia Leers Pflegerin im Tageshospiz Leipzig

Leers könne sich dabei auf ihr Team verlassen: "Wir sind im Team gut aufgestellt. Wir tauschen uns untereinander aus. Es gibt auch Supervision, wenn wir Halt und Hilfe benötigen." Auch für sie sei das Thema Vergänglichkeit präsenter als in ihrer vorherigen Arbeit als Krankenschwester: "Man geht mit einem anderen Gefühl nach Hause. Das schätzt man mehr als in anderen Berufen."

Der Einsamkeit begegnen

Schwer kranke Menschen mit ihrer Diagnose nicht alleine zu lassen - das sei für Hospizleiterin Beatrix Lewe entscheidend. Angehörige hätten tagsüber für diese nicht immer Zeit, manche seien zudem überfordert. "Einsamkeit ist gerade in der palliativen Versorgung ein Problem. Unsere Gäste sollen hier eine Gemeinschaft von gleich Betroffenen kennenlernen", erklärt Lewe.

Einsamkeit ist gerade in der palliativen Versorgung ein Problem. Unsere Gäste sollen hier eine Gemeinschaft von gleich Betroffenen kennenlernen.

Beatrix Lewe Hospizleiterin der Villa Auguste in Leipzig

Wenn schwer Kranke alleine gelassen werden, würden sich manche zu sehr auf ihre Diagnose konzentrieren, sagt Lewe. "Sie leben dann in ihrem Leid und in ihrer eigenen Blase." Da setze das Tageshospiz an. "Es soll einen Raum eröffnen, etwas am Tag zu erleben, von dem sie am Abend berichten können", erklärt die Hospizleiterin.

Zwei Männer sitzen in einem Theater in einer leeren Badewanne 7 min
Theatermacher Leon Pfaffenmüller und Sankar Venkateswaran dirkutieren in ihrem Stück "Im Tod – in my time of dying" in der Badewanne über das Sterben. Bildrechte: MDR
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https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-sonstige/video-jena-leon-pfannenmueller-im-tod-sterben-naechste-generation-100.html

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Viel Verständnis untereinander

Ina Vogel sitzt mit Katrin Koegel am Tisch. Sie spielen ein Spiel, bei dem sich Magneten gegenseitig anziehen und aneinander klicken. "Das ist gerade zu laut. Lass uns etwas anderes spielen", sagt Katrin Koegel und schaut zu Mario. Weil Lärm bei Erkrankten mit Tumoren im Kopf Schmerzen auslösen kann, sollte dieser besser im Tageshospiz vermieden werden. Deswegen sollen auch möglichst keine Stühle laut gerückt werden. Das Verständnis der Gäste dafür untereinander ist groß.

Drei Frauen und ein Mann spielen Karten.
Gemeinsam Kartenspielen und zusammen lachen. Doch das Thema Tod und Sterben kann auch ganz spontan kommen etwa am Frühstückstisch. Bildrechte: MDR/Phillip Brendel

Jeden Moment genießen

Für Katrin Koegel sei das Tageshospiz zur zweiten Heimat geworden, erzählt sie. "Ich wohne bei meiner Schwester und meinem Schwager. Unter der Woche arbeiten sie. Es ist schlecht, wenn man alleine zu Hause ist", erklärt die 40-Jährige. Sie genieße hier das Lachen und die Zeit mit den anderen Gästen. "Auch die Mitarbeiter sind wie ein Teil der Familie", sagt sie.

Eine Frau lächelt in die Kamera.
Katrin Koegel freut sich schon sonntags, am nächsten Tag wieder ins Tageshospiz gehen zu können. Das Miteinander sei hier sehr familiär, sagt die 40-Jährige. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Ich lag 2023 schon einmal für drei Wochen im Koma. Angst habe ich nicht.

Katrin Koegel Krebspatientin

Sie habe vor einem Jahr erfahren, dass sie Krebs hat. Ihr Vater sei auch an Krebs gestorben, ihre Mutter habe sie früh durch die Krankheit verloren. Wie viel Zeit ihr noch bleibt, wisse sie nicht, sagt Koegel. Angst vor dem Sterben habe sie nicht, sagt sie gefasst: "Ich lag 2023 schon einmal für drei Wochen im Koma. Angst habe ich nicht."

Die 40-Jährige will jeden Moment auskosten. Sie freue sich auf ihre Urlaubsreise mit ihrer Schwester und ihrem Schwager. "Wir fahren an die Ostsee und wollen auch noch nach Norwegen. Ich freue mich auf das Meer. Das hat so etwas Beruhigendes." Ein Credo was sie sich selbst sagt und auch anderen auf den Weg geben möchte: "Genieße das Leben und jeden Tag!"

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(phb/nib)

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